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FREDDY /// 2018

„Heute war mal wieder 1. Schultag. Ich hatte echt geile Klamotten an und alle fanden meine Frisur total geil.“  Frau Schwalbe (14), Tagebuch

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34 /// 100% FC Hansa /// endlose Wimpern /// 80% Gelwelle /// 1,3 Promille


Da mein Vater mir das falsche Bahnticket nach Hause gebucht hat, entschied ich mich für eine günstige Zugverbindung, dafür mit maximaler Personenauslastung. Das letzte Heimsspiel der Saison von FC Hansa stand an und selbst aus Berlin sollten sich Fans auf den Weg  nach Rostock machen. Nur mit einem MV-Ticket bestückt, entschied ich mich, bis zur mecklenburgischen Grenze mich unters Fußballvolk zu mischen und so den gesetzestreuen Augen des Schaffners zu entgehen. Zu meiner Überraschung waren es am Ende die Kaffee-Seniorenfahrten, die zur maximalen Auslastung und meinem Stehplatz führten.

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Egal – Hauptsache ich stand und der Schaffner hatte keinen Überblick über die Menschenmassen. Im wackeligen Gang nach oben zur zweiten Klasse begann ich, langsam in meinem schicken Nadelstreifenhemd mit dem XL Strickpulli drüber zu schwitzen. Während ich mich am Geländer festhielt, sah ich Richtung Boden zu meinen Füßen. Die Anzugschuhe hätten nun auch nicht wirklich sein müssen. Mal abgesehen davon, dass ich zwischen den Trikots und beigen Windjacken modetechnisch aus dem Rahmen fiel, war mein Reiseziel: Dorf und damit Anzugschuh-Nadelstreifen-Freie-Zone. Aber gestern im Büro hatte ich mich so hübsch gefühlt. Während ich noch an meiner Unauffälligkeit zweifelte, vernahm ich eine ansteigende Anzahl an Männerstimme. Als ich hochblickte, seh ich in Freddys blaue Augen. Nice! Irgendwie Randbezirk, Typ Bauarbeiter, aber mit langen Wimpern und nur einen Hauch zu braun gebrannter Haut. Wenigstens nicht, aber eventuell doch, Malle-Bräune. Neben ihm vier Kumpels, alle hielten sie ein Bier in der Hand.

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Betont cool kramte ich mein Handy aus dem Rucksack und stellte fest: kein Empfang. Das war es mit meiner Unsicherheitsalibihandlung. Eigentlich kann ich nur auf die Gruppe Jungs gucken oder möglichst wenig arrogant über sie hinweg. Einer der Fußballkumpel war besonders gut drauf. Ein Witz jagte den nächsten, die Hälfte davon auf sympathische Weise auf Kosten der Rentner*innen. Während ich mich immer wieder bückte, um mein Handy wegzupacken, dann wieder zu holen und wieder wegzupacken, berührten wir uns zufällig.

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Beobachtete er mich etwa? 


Freddy machte sich einen Platz auf dem Boden klar und deutet auf den Platz neben ihm. Die Nummer mit dem Handy hatte ich inzwischen aufgegeben und versuchte stattdessen, möglichst unauffällig an mir selbst zu riechen. Warum hab ich nur diesen Scheiß-Pullover angezogen? Wenigstens ging die Klima im Zug. Kaum neben ihm auf dem Boden der Geselligkeit angekommen, wurde mir auch schon ein Bier gereicht. Auch wenn es erst 9 Uhr morgens und ich noch verkatert von sechs Stunden zuvor war, sagte ich beherzt ja. Schon der erste Schluck schmeckte und ich wünschte, ich wäre Fußballfan. „Hi, ich bin Freddy und du?“ „Frau Schwalbe, angenehm“ Und da hörte ich sie meine verkaterte Stimme. Verdammt. Denn wenn ich verkatert bin, höre ich mich an wie eine Philosophin mit Wortfindungsstörungen: ruhig, bedächtig, tief, leicht nasal, fischend nach Worten und am Ende immer eine Spur zu poetisch. Ich war überhaupt nicht in der Verfassung, um auf einen Freddy aus Pankow Eindruck zu machen. Und eigentlich wusste ich auch noch nicht, ob ich bzw. er das wollte. Zumindest war er ein interessierter Typ. Er stellte mir Fragen und ließ mich bisschen schwafeln, um dann die nächste Frage zu stellen. Er war wirklich süß. Heimlich fragte ich mich, was Freddy wohl beruflich machte. Zarte Hände, braungebrannt: Maler? So Hausfassaden vielleicht?

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Kurz vor der Grenze zu Mecklenburg Vorpommern und damit aus dem Schwarzfahrbereich raus, kommt der Schaffner ins Abteil. Freddy verspricht mir volle Solidarität und dass sie das für mich schon regeln würden. Nur noch zwei Personen von mir entfernt, verabschiedet sich Freddy dann aber aufs Klo. Weg war er, mein Retter in der Not. Ich musste mich entscheiden, weglaufen oder cool bleiben. Da ich eh schon schwitzte, blieb ich einfach sitzen und wie durch ein Wunder kontrollierte der Schaffner wirklich nur um mich herum. Am Ende fand der Schaffner mich süßer als Freddy, weil der tat nach der Rückkehr vom Klo und dementsprechend wahrscheinlich selbst als Schwarzfahrer unterwegs, als wäre nichts gewesen. Sei's drum. Er war mir auch nichts schuldig. Es war allerdings entscheidende Zeit ins Land geflossen und die nächste Station war der Seniorenhalt Waren an der Müritz. Der Zug wurde leer und es war an der Zeit sich einen vernünftigen Sitzplatz zu suchen.

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Freddys Sitzgruppe war voll und so setzte ich mich schräg hinter ihm. Das Ende einer jungen Romanze. Einmal blickte er sich um und sagte: „Na da ist sie ja, die schöne Frau Schwalbe.“ Grund genug für mich, meine Nummer auf einen Zettel zu schreiben, schließlich mussten wir beide in Rostock raus und wer weiß, was Freddy so zu erzählen hätte, wenn wir nur zu zweit ein Bier trinken gehen würden.

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Der Zug fuhr ein, ich fasste mir ein Herz, die Tür öffnet sich, ich stelle meinen Koffer auf dem Bahnsteig an, drehte mich galant um, Freddy vor mir und dann ging es auch ganz schnell. Freddy riss seine langen Wimpern auf und lief grölend auf eine Horde Fußballfreunde zu. Hansa Forever und die Polizei aufgereiht und betont cool (ich kenn das ja) dahinter. Da war keine Zeit für Romantik. Ich schlug die Schuhe aneinander und machte mich auf mein anderes Gleis. Es hätte so schön werden können, blau-weiß-gestreifte Bettdecke und eine Dauerkarte fürs Ostseestadion. Wenigstens der FC hat an dem Tag gewonnen.

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Aber besser war es vielleicht so, meine Haut verträgt schließlich keine Mallorcabräune.

FREDDY /// 2018: Meine Arbeit

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