FABIAN /// 1999
"Hoffentlich sind meine Tage schnell wieder weg, denn ich möchte baden gehen.
Ich traue mich nicht einen OB zu nehmen. Ich habe so das Gefühl, dass es eklig ist.
Aber es stimmt nicht!"
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Cindy (15), 2.9.2000, Brief an mich
100 Küsse /// 10% Beziehung /// 50% Tampon-Saugkraft /// 0% Angst vor Sonnenbrand
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Hatte ich mich vor einem Jahr noch gesträubt, ging es jetzt richtig los. Ich habe keinen Schimmer, wer mir diesen Jungen eingebrockt hat, aber ich vermute Josi: die neue Freundin an meiner Seite. Ähnlich verdorben wie Mandy und ziemlich lässig. Sie hatte einen sehr kruden Humor, einen Hang zur Selbstdarstellung und war nach mir drei Jahre mit Fabian zusammen. Eventuell war ich für sie eine Art Testobjekt. Ich bin mir nicht sicher, ob es mich nachhaltig geschädigt hat, aber eins weiß ich sicher, (SPOILER!) traurig war ich darüber nicht wirklich.
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1999 /// Laut Internetrecherche war der Sommer nicht berauschend. Also lag es wohl an unserem Teenspirit: Denn für uns waren die ganzen Ferien Sommer. Praktisch jeder Tag lief ähnlich ab: um zehn mit dem Bus in die Nachbarstadt und ab ins Freibad.
Ich trug meinen ersten Tampon. Ein ziemlicher Kraftakt, zur Hälfte hing er raus. Mir war am Anfang des Tages noch nicht bewusst, dass das so nicht muss. Die theoretische Erklärung, wo der denn rein musste, erschloss sich mir nicht, als ich noch kaum blutend, eher mit der Angst, vor dem es könnte blutend aus mich rausströmen, den Baumwollballen in mich reinsteckte. Also lief ich mit verklemmten Beinen den Rasen Richtung Clique. Da saß Fabian und starrte mich an. Er kam gerade von der Loveparade, durchfeiert aus Berlin, hatte frische blaue Haare (Hey, das war scheinbar immer noch IN) und lächelte mir entgegen. Seit fünf Tagen waren wir ein Paar. Obwohl er bei DEM Jahresereignis schlechthin war, schließlich wollten wir alle trotz zarter 13 Jahre auf einem Wagen halbnackt mit bunten Haaren zu dröhnenden Bässen heftig absteppen, wusste ich nicht genau, was von ihm halten sollte. Er ging zur Realschule drei Dörfer weiter, war gerade mal so groß wie ich und hatte Lache, die an ein Walross erinnerten. Da er sich selbst am witzigsten fand, ertönte das fröhliche Walrossgrunzen häufiger. Jedes Mal zog ich trotz höflichen Mitlachens meine Augenbrauen hoch. Ich fand ihn nicht unsympathisch, tatsächlich wurden wir gute Freunde, aber Fabian war mir suspekt. Sei’s drum, da saß er nun: mein erster Freund.
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Unsere Lippen zur Begrüßung trafen sich wie Betonbalken. Keine Ahnung, wie man das schaffte, aber die Verkrampfung des Körpers führte wohl zu einer Versteifung der Lippen, was erklärt, dass ich meinen Mund in kurzer Abfolge auf Fabians draufhämmerte. Ich war nicht so überzeugt vom Küssen. Noch viel schlimmer wurde es, als Fabian mich einige Stunde später hinter die Pommesbude zog und mir meinen ersten Zungenkuss verpasste. Obwohl noch gar nicht im Wasser, war ich von oben bis unten nass. Endgeil war anders. Ich will nicht ausschließen, dass die Hälfte mein eigenes Gesabber war. Schließlich versuchte ich im Affenzahn seiner Zunge zu folgen und so fühlte sich der erste „echte“ Kuss an, als würden wir Wassermundkarussell fahren. Schnell außer Atem war ich außerdem. Um den Ganzen ein Ende zu setzen, biss ich kurzerhand in das züngische Ungeheuer. Er ließ los.
Alter Vadder, das war also Küssen. Irgendwie noch komplizierter als die fachgerechte Einführung eines Tampons, das ich kurz zuvor dank Josis Hilfe doch noch gelernt hatte. Mit viel gutem Zureden traute ich mich die ganze Angelegenheit etwas tiefer zu schieben. Ein Tipp, den man eher nicht beim ersten Kuss beherzen sollte.
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Zum Glück zitierte uns Josi mit einem lauten Brüllen aus dem Wasser zu sich. Es dauerte keine fünf Sekunden und ich sprang hinterher. Vielleicht entrüstet meiner geringen Wertschätzung seiner Zungenfertigkeiten hatte Fabian weniger Interesse daran. Doch Josi ließ nicht locker. Das Feilschen begann, was würde er dafür bekommen, wenn er doch reinspringen würde? „Du bekommst 100 Küsse von Frau Schwalbe.“ Zum Glück zögerte er. Josi setzte noch eins drauf. Sie wollte ihn im Wasser sehen. „Mit Zunge.“ Und PLATSCH schwamm er mir hinterher. Meinen panikerfüllten Gesichtsausdruck und die anschließenden höflich schwimmenden Ausweichmanöver muss ich wohl nicht weiter erläutern. Ich habe Josi gehasst. Wie konnte sie mir das antun?!
Drei Stunden später in der Partygartenlaube beendete ich die Beziehung. Fabian hatte die Zeichen nicht kommen sehen und weinte bitterlich. Aber was für eine göttliche Fügung: Josi hatte keine Probleme damit, ihn zu trösten. Die erste Trennung noch in den Armen einer Anderen schluchzend, fragte ich mich schon, ob das Küssen mit Schröder genauso schlimm sein würde.