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UWE /// 1997 /// 2016

„Ich will jemanden, der mich will und nicht nur als Kumpel, der mich hübsch findet und der meinen Körper begehrt. Ich werde wohl noch lange warten müssen auf so einen Traumtypen.“

Frau Schwalbe (15), Tagebucheintrag


70% Six Pack /// 0% Brustbehaarung /// 2 Nippel /// eigentlich zu alt


Im Alter von elf Jahren wusste ich zwar noch nicht, was es zu bedeuten hatte, aber ich war das erste Mal sexuell erregt.

Noch einige Tage zuvor war ich vor Uwe und meinen Eltern aus einem Karton gesprungen und habe meine selbst kreierte Choreo zu Barbie Girl von Aqua vorgetanzt. Unter donnerndem Applaus, dem aus heutiger Sicht nur elterliche Liebe zu Grunde liegen konnte, amüsierte sich auch der Philosophiekollege meiner Eltern über meine Performance. Traumatisch bezeichnet er diese Erfahrung bis heute. Mittlerweile ist er verheiratet, hat Kinder und kann von seiner Philosophie so schlecht leben, dass er reicheren Vorstädtern Bio-Produkte über den Verkaufstresen schiebt.

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Als Kind kurz vor Eintritt der Pubertät hatte ich ihn stark im Verdacht, meine Mutter meinem Vater ausspannen zu wollen. Skeptisch beobachtete ich, wie er ihr charmant das Salz für’s Nudelwasser reichte. Sie scherzhaft darüber lachten, als dabei der Deckel abfiel und sie zu allem Überfluss am Tisch kicherten, weil ich über die versalzene Lieblingspasta das Gesicht verzog. Es hätte ganz schrecklich sein können, aber Uwe hatte das Talent genau eine Fingerbreite unter Schmalzig zu bleiben. Weiterer Bonus: Necken war seine Paradedisziplin. Und er beherrschte sie gut, die Balz-Strategie Nr. 1: international und immer gültig. Dank Piesacken mochte ich ihn mehr und mehr. Bald störte es mich nicht mehr, dass er ohne Vorwarnung in unserer Küche stand und mich angrinste, wenn ich verschlafen die Treppe runterstolperte. Regelmäßig brach ich in schallendes Gelächter aus, nur weil er einen Witz machte. Noch heute werde ich regelmäßig darauf hingewiesen, doch bitte nicht so laut zu lachen. Damals nahm es seinen Ursprung. By the way: Was für Menschen stören sich denn bitte an einem ehrlich vibrierenden Lachen? Uwe stimmte immer mit ein, noch gerissener versuchte er, mich zu übertrumpfen bis ich beinahe an meinem Lachen erstickte. Maßregelungen waren zum Scheitern verurteilt, solange er mitlachte. Erst wenn er mir zuzwinkerte und andeutete, dass wir jetzt leise sein sollten, hörte ich mit einen verschwörerischem letzten Lächeln auf. Er hatte mich um den Finger gewickelt, dabei war er fünfzehn Jahre älter als ich.

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Vor fünf Jahren traf ich ihn wieder. Er hatte sich gar nicht verändert. Wahrscheinlich hatte er damals keine Falten und irgendwie weniger graue Haare. Aber trotz 16 Jahren Zeitverlust stand da immer noch Uwe. Er begrüßte mich gewohnt cool, mit so einem langgezogenen „Heeeeeyy, naaaaa Spice Girls for Life“ Das F pfiff durch seine schmalen Lippen. Er war jetzt Anfang 40, ich Ende Zwanzig. Ich wusste noch nichts von seinem Kind und Kegel, schon einige Tage zuvor hatte ich überlegt, dass das mit uns heute gar nicht mehr sooo paradox wäre. Wir könnten theoretisch ein Paar werden. Süß fand ich ihn immer noch. Was würden meine Eltern dazu sagen? Was meine Mutter? Seine verbliebenen Brustmuskeln zeichneten sich unterm Longsleeve ab, es saß mal wieder zu eng.

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In den 90ern war das moderner. Unter dem Weiß seines T-Shirts konnte man ab und zu seine Nippel sehen. Möglichst unauffällig starrte ich hin. Zwei an der Zahl, leicht hervorstehend, so zippelartig, wie der Verschluss eines Luftballon, nur eckig. Manchmal hätte ich gerne reingekniffen, schließlich durfte er das ja auch. Zwar nicht in meine Nippel, aber in meinen Bauch. Versuchte ich, ihn zu boxen und spannte er sein Six Pack an. Uwe war zwar der Beste und ich eine kleine Lady, aber bis dahin war noch alles trocken im Höschen. Bis dahin.

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Ich schlurfte mal wieder die Treppe hinunter. Der festen Überzeugung, dass mich niemand in der Küche erwarten würde, traf mich das erste Mal die Keule des sexuellen Verlangens. Uwe stand an der Tür zum Garten. Ein leichter Windzug strich durch den Raum. Von hinten sah ich hauptsächlich Rücken, einen breiten Rücken gesprenkelt mit Sommersprossen. Um seine Hüften hatte er lässig (kein Wort trifft es besser) ein strahlend weißes Handtuch gebunden. Seine raspelkurzen Haare waren noch nass und ein Tropfen bahnte sich die Wirbelsäule entlang Richtung erogene hintere Zone. Mir stockte der Atem. Abgesehen von meinem Vater, der nun mal mein Vater war, hatte ich noch nie einen erwachsenen Mann so nah so nackt gesehen. Ich fühlte mich wie in meiner eigenen Coca Cola Werbung.

Tiefenentspannt lehnte er an der Tür und blickte in den saftig grünen Garten. Ich erwartete, dass jeden Moment das Handtuch fiel und er sich zu mir umdrehen würde. Vollkommen gefangen in meiner Phantasie stolperte ich laut die Treppe hinunter. Na sicher, wenn dann musste es auch auffallen, dass ich spannte.

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„Na Kleines!“ Cool, wie er war, konnte ihn das nicht schocken. Stolz stand er vor mir. Das Handtuch bombenfest. Vollkommen blank seine haarlose Brust und das Six Pack unauffällig angespannt. Ich kam aus dem Starren gar nicht raus. Was sagte man noch mal in so einer Situation. „Ah Guten Morgen!“ Er lachte. Dieses Mal stimmte ich nicht mit ein, räusperte mich kurz, schlich in die Küche, goss mir ein Wasser ein und trank zügig aus. Uwe zog von dannen. Wahrscheinlich ein paar Liegestützen machen – nackt.

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Beim heutigen Glas Bier hat er schnell seinen sexuellen Reiz verloren. Alt genug zwinkert er mir zwar immer noch zu, aber er ist eben doch der Typ, der gesehen hat, wie ich voller Begeisterung Aqua nachgetanzt habe. Das könnte keine Zukunft haben, mal abgesehen davon, dass er super happy mit Kind und Kegel ist. Ich glaube ihm jedes Wort und muss dabei schmunzelnd daran denken, wie ich mich nach der Handtuch-Situation nach oben in mein Zimmer schlich und an meiner Matratze rieb. Ich hab dabei hoffentlich nicht direkt an ihn gedacht. Das wäre bei einer 11-jährigen doch irgendwie verboten oder gilt das nur von Alt zu Jung?

UWE /// 1997 /// 2016: Meine Arbeit

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